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27.04.2017
BGH zu Silikonbrustimplantaten
Die ihn Deutschland wohnende Klägerin ließ sich 2008 in Deutschland Silikonbrustimplantate einsetzen, die von einem in Frankreich ansässigen Unternehmen hergestellt worden waren. Die Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die nach § 6 Abs. 1, Abs. 2, § 7 Abs. 1 Medizinproduktegesetz* nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn die Voraussetzungen der EG-Konformitätserklärung nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG erfüllt sind. Voraussetzung dafür ist u.a., dass eine "benannte Stelle" das zu installierende Qualitätssicherungssystem und die Produktauslegung förmlich prüft und die Einhaltung der in der Richtlinie vorgegebenen Standards bescheinigt. Zudem hat die "benannte Stelle" regelmäßig die erforderlichen Prüfungen und Bewertungen durchzuführen, um die Umsetzung des genehmigten Qualitätssicherungssystems zu überprüfen.
Das in Frankreich ansässige Unternehmen beauftragte die Beklagte TÜV Rheinland LGA Products GmbH als "benannte Stelle" mit der Prüfung und Überwachung ihres Qualitätssicherungssystems und der Produktauslegung.
2010 stellte die zuständige französische Behörde fest, dass nicht das vorgesehene Silikon, sondern Industriesilikon für die Implantate verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Klägerin daraufhin 2012 ihre Implantate entfernen.
Auf dieser Grundlage macht die Klägerin gegen die Beklagte ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000 € und die Feststellung des Ersatzes materieller Zukunftsschäden geltend.
Die Beklagte habe als "benannte Stelle" ihre Prüf- und Überwachungspflichten aus dem mit der Herstellerin der Implantate geschlossenen Vertrag verletzt. Sie, die Klägerin, sei in den Schutzbereich dieses Vertrages einbezogen. Es bestehe deshalb ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte u.a. aus dem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Der u.a. für die Haftung von Sachverständigen zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte dem Gerichtshof der Europäischen Union die Fragen zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte** vorgelegt, ob sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG ergibt, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht obliegt und dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen (vgl. Pressemitteilung vom 9. April 2015).
Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union am 16. Februar 2017 (Rechtssache C-219/15) durch Urteil entschieden hat (vgl. Pressemitteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union Nr. 14/17 vom 16. Februar 2017), ist die Sache nunmehr wieder beim Bundesgerichtshof anhängig, dort mündlich zu verhandeln und zu entscheiden.
Vorinstanzen:
LG Frankenthal – Urteil vom 14. März 2013 – 6 O 304/12
OLG Zweibrücken – Urteil vom 30. Januar 2014 – 4 U 66/13
* Medizinproduktegesetz:
§ 6 Voraussetzungen für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme
(1) Medizinprodukte, mit Ausnahme von Sonderanfertigungen, Medizinprodukten aus Eigenherstellung, Medizinprodukten gemäß § 11 Abs. 1 sowie Medizinprodukten, die zur klinischen Prüfung oder In-vitro-Diagnostika, die für Leistungsbewertungszwecke bestimmt sind, dürfen in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Satz 1 versehen sind. Über die Beschaffenheitsanforderungen hinausgehende Bestimmungen, die das Betreiben oder das Anwenden von Medizinprodukten betreffen, bleiben unberührt.
(2) Mit der CE-Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte nur versehen werden, wenn die Grundlegenden Anforderungen nach § 7, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung anwendbar sind, erfüllt sind und ein für das jeweilige Medizinprodukt vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 durchgeführt worden ist. Zwischenprodukte, die vom Hersteller spezifisch als Bestandteil für Sonderanfertigungen bestimmt sind, dürfen mit der CE-Kennzeichnung versehen werden, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind. Hat der Hersteller seinen Sitz nicht im Europäischen Wirtschaftsraum, so darf das Medizinprodukt zusätzlich zu Satz 1 nur mit der CE-Kennzeichnung versehen werden, wenn der Hersteller einen einzigen für das jeweilige Medizinprodukt verantwortlichen Bevollmächtigten im Europäischen Wirtschaftsraum benannt hat.
…..
§ 7 Grundlegende Anforderungen
(1) Die Grundlegenden Anforderungen sind für aktive implantierbare Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs 1 der Richtlinie 90/385/EWG des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (ABl. L 189 vom 20.7.1990, S. 17), die zuletzt durch Artikel 1 der Richtlinie 2007/47/EG (ABl. L 247 vom 21.9.2007, S. 21) geändert worden ist, für In-vitro-Diagnostika die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 98/79/EG und für die sonstigen Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 vom 12.7.1993, S. 1), die zuletzt durch Artikel 2 der Richtlinie 2007/47/EG (ABl. L 247 vom 21.9.2007, S. 21) geändert worden ist, in den jeweils geltenden Fassungen.
** Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte
5.3. Die benannte Stelle führt regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch, um sich davon zu überzeugen, dass der Hersteller das genehmigte Qualitätssicherungssystem anwendet, und übermittelt dem Hersteller einen Bewertungsbericht.
5.4. Darüber hinaus kann die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen. Dabei kann die benannte Stelle erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen. Die benannte Stelle stellt dem Hersteller einen Bericht über die Besichtigung und gegebenenfalls über die vorgenommenen Prüfungen zur Verfügung.
VII ZR 36/14 (Silikonbrustimplantate)
Quelle: Pressemitteilung Nr. 44/2017 des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2017